Wie funktioniert Archäologie?

Vom Baumringen bis zu High Tech Methoden

Wie funktioniert eigentlich Archäologie? Wir tauchen tief ein in die Zeit der Bergleute über mehrere Epochen. Und zwar nicht in einem öden Geschichtsvortrag, sondern in einer spannenden Spurenforschung. 

Wie oft stellt man sich bei Exponaten in Museen Fragen, die ungelöst verpuffen. Etwa die Frage, wie unter den damaligen Umständen Schwerstarbeiten derart präzise erledigt werden konnten. Woher wussten die Bergleute, dass hier in 30 Meter Tiefe eine Silberader verläuft? Wie konnten sie einen Schacht inklusive Lüftung bauen? Alles ohne Vermessungstools, physikalisches Studium und geologische Daten? Und wie können wir all das nachstellen und archäologische und geologische Funde heute genau datieren?

Wie funktioniert Archäologie? Impression #1

Spurenforschung auf dem Rundweg „Silberpfad“

Licht ins Dunkle bringt uns die kurzweilige Führung auf dem Rundweg „Silberpfad“ mit 12 teils interaktiven Stationen. Und das nicht auf einem kargen Ausgrabungsfund, sondern in der wildromantischen Naturkulisse Silbertal. Startpunkt ist die Bergstation der Kristbergbahn, wo uns Klaus empfängt. Er richtet die Tour nach seinen Gästen aus, ob Kinder, Erwachsene oder Kulturinteressierte –alle erhalten spannende Einblicke. Für Kinder besonders spannend: Es gibt eine App, mit der sie an den jeweiligen Stationen Aufgaben lösen können. Detektivarbeit at its best!

Auf unserer 2-stündigen Tour geht es – zack – auf der Zeitskala weit zurück: Schon in der Eisenzeit um 600 v. Chr. fanden hier im Montafoner Tal Bergbauaktivitäten statt, wie Funde von Erzlagerstätten belegen. Die Zeitskala kann man hier kontinuierlich nach oben klettern, wie wir erfahren, über die spätkeltische und römische Zeit bis hin ins Spätmittelalter hinein: Bodenschätze wie Eisen, Kupfer und Silber wurden hier kontinuierlich abgebaut – eine einzigartige lückenlose Bergbaugeschichte im gesamten Alpenraum! Mit Konsequenzen: Denn das Schmiedehandwerk führte zu Wohlstand, sodass sich hier in der Montafoner Berglandschaft erste Völker niedergelassen haben.

Bevor wir den Spuren nachgehen, gibt uns Klaus einen kurzen Einblick in die Siedlungsgeschichte im Silbertal, von Rätoromanen, Römerstämmen, Walsern bis in die heutige Zeit, wo man Familiennamen vergangener Zeiten heute noch an den Klingelschildern findet. Unsere Fragezeichen im Kopf würden an der letzten Station aufgelöst werden. Also nichts wie los, zur ersten Station des Silberpfads!

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Knochen? Was haben die denn mit Bergbau zu tun?

Der 2,6 km lange Lehrpfad verläuft durch eine abwechslungsreiche Landschaft aus Wald, Blumenwiesen, Grashängen und Moor. Schon an der ersten Station geht es um die Gesamtschau: gestern und heute. Je nachdem, welchen Blickwinkel man einnimmt, erkennt man Unterschiede – und sie alle haben mit dem Bergbau zu tun! Zeit also, den Zusammenhängen auf die Spur zu gehen. Angekommen an der zweiten Station sehen wir Knochen. Knochen? Was haben die mit Bergbau zu tun? Klaus erklärt uns, dass man bei archäologischen Grabungen zum Bergbau immer wieder Knochen findet. Sie sind ein wichtiges Puzzlestein, denn sie verraten uns, von welchem Fleisch – also welchen Tieren – die Bergleute sich ernährten und wie sie sich organisierten. Fischknochen in hochgelegenen Bergregionen? Hier lässt sich auf Bewegung durch „Zulieferer“ schließen. An der Station können sich Kinder wie Wissenschaftler:innen fühlen und Knochen zuordnen.

 

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Tief nach unten geschaut

Einmal den Blick von Archäologen einnehmen – von oben nach unten. Möglich macht das die Station „Schatzkiste Boden“ mit verschiedenen Erdschichten, von heute bis zur Bronzezeit. Und wie komme ich an die Schichten weit unten? An der Station „Feiner Staub“ können wir exemplarisch nachmachen, wie Pollen aus der Tiefe mit dem Bohrkern entnommen werden. Dass wir hier in einem Moor stehen, hat einen Grund, wie wir erfahren: Da Moore an der Oberfläche feucht sind, bleibt alles darunter unter Sauerstoffabschluss konserviert. Ein Moor wächst (wenn auch sehr langsam) nach oben. So sind die ältesten Pollen in den untersten Schichten zu finden und können – zusammen mit dem Bohrkern – mit der Radiokarbonmethode datiert und mikroskopisch bestimmt werden. Aha, deshalb hat man hier so zum Beispiel Spitzwegerich finden können. Moment mal, Spitzwegerich? Der wächst doch weder im Moor noch im angrenzenden Wald! Klaus erklärt uns, Forschende können daraus schließen, dass hier damals gerodet wurde. Wie Knochen liefern solche Analysen Indizien auf die Versorgung und Ernährung der Bergleute und wie die Landschaft damals aussah. Ich beginne, vom Reiz der archäologischen Methoden immer mehr aufgesogen zu werden und fiebere weiteren „forensischen“ Informationen und Aufgaben entgegen.

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Vom Feuerstein zu Jahresringen

Schon in der Steinzeit benötigten Menschen Materialien, klar. Dafür bedienten sie sich im Alpenraum aber nicht einfach umliegenden Steinen, sondern bewältigten mühselig Anstiege und bauten ganz gezielt ab, um passende Materialeigenschaften zu erhalten. So nutzten sie z. B. Bergkristall und Feuerstein als Werkzeuge und stellten Pfeilspitzen und Klingenmesser her, wie wir sehen und fühlen können.

Unser genaues Auge wird an einer weiteren Station gefordert: Da im Bergbau Hölzer für Werkzeuge, Bauten, zur Abstützung in Gruben und als Brennmaterial genutzt wurden, ist es kein Wunder, dass Hölzer weitere wichtige Fundstücke sind, die sich datieren lassen. Und zwar anhand der Jahresringe, die je nach Wachstumsbedingungen unterschiedlich dick sind. Wir können die Methode hier gleich durchführen, durch Abgleich der ausgestellten „Baumstücke“ mit einem Replikat eines Vergleichs-Holzabschnitts, den Wissenschaftler:innen erstellt haben.

 

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3-D-Laserscanning und GIS? Ja klar, wer will schon per Fuß suchen!

Jetzt wird’s High-Tech-modern: Mithilfe der 3-D-Lasererfassung aus dem Flugzeug können kleinste Bodenunebenheiten abgebildet und die Vegetation herausgerechnet werden. So lassen sich z. B. Abraumhalden oder eingestürzte Eingänge von Bergwerken auffinden – unvorstellbar, wie lange das per pedes dauern würde … Natürlich kann hier am Waldweg kein digitales Geländemodell aufgestellt werden, die analoge Vorgängerversion, das Spiegelstereoskop, ist aber nicht weniger anschaulich: Indem wir die zwei Fotos betrachten, ergibt sich ein dreidimensionales Bild vom Gelände. Spur gefunden!

 

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Die zweite Hälfte der Station zeigt das Prinzip eines geographischen Informationssystems, kurz GIS. Dabei werden verschiedene Informationen in die Grundkarte des zu untersuchenden Gebiets eingeblendet und kombiniert, hier z. B. Bergbauorte, Abbauhalden, Erzvorkommen. So kann man auf der grafischen Karte sehr viele Daten verarbeiten. Übrigens, die Abbauhalden können wir hier auf dem Silberberg in Form vieler Grashügel erkennen, sie tragen also zum Erscheinungsbild der Landschaft bei.

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Fingerabdrücke im Metall – jetzt wird’s detektivisch!

Unsere Fingerabdrücke verraten uns. Aber auch Metalle können sich nicht klammheimlich davonschleichen, wie wir erfahren. Denn sie haben ein ganz bestimmtes Muster von Spurenelementen, was es erlaubt, die Herkunft zu bestimmen und einem Erzabbaugebiet zuzuordnen. Prominentes Beispiel: Die in Sachsen-Anhalt entdeckte Himmelsscheibe von Nebra. Bei der Bronzeplatte wurde nachgewiesen, dass ihr Kupferanteil aus Salzburg, einem der größten Kupferreviere der Bronzezeit, stammt. Die vielen Handelsrouten über die Alpen unter den damaligen Umständen und Mitteln sind heute unvorstellbar. Dafür können wir puzzeln: An der Station „Fingerabdrücke“ finden wir wir heraus, welcher archäologische Fund zu welchem Erzabbaugebiet gehört.

Uns ist klar geworden: Der Bergbau war eine prägende Zeit, die die Gesellschaft, Kultur und das Landschaftsbild maßgeblich beeinflussten. Dies belegen auch die nachfolgenden Stationen mit Tonbandausschnitten sowie mit sichtbaren Spuren, wie zu. B. die Abraumhalden, und unsichtbaren Spuren, wie z. B. Namen von Orten, Plätzen und sogar Familien.

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Die St. Agatha Knappenkirche als Krönung

Wir kommen zu einer kleinen Kirche. Dass sie ebenfalls mit dem Bergbau zusammenhängt, darauf deuten die Lage im Bergbaugebiet und die Bauinschrift „1507“ im Chorgewölbe, der Blütezeit des Montafoner Bergbaus. Außerdem gab es mehrere Bergbauheilige und eine Gründungslegende. Und die ist ebenfalls wieder spannend: Im Kirchenbau gibt es Hinweise, dass diese Legende auf eine wahre Geschichte beruhen soll. Hier wird aber nicht mehr verraten, nur, dass St. Agatha eine Bergbauheilige war und Namensgeberin des Kirchleins wurde. Trotz schlichtem Bau ist das Bauwerk faszinierend, denn bis heute ist die älteste Kirche im Montafoner Tal Zeuge einer Zeitreise, wie uns Klaus erklärt: „Armut ist der beste Konservator. Es war kein Geld da, um die Kirche zu barockisieren.“ Deshalb hat die Kirche wahre historische Schätze: Bogen und Schiff stammen noch aus romanischer Zeit, der Altar mit seinen anmutenden Heiligenbildern aus gotischer Zeit. Nur der Kreuzweg ist der Barockzeit zuzuordnen. An der schönen Holzdecke fallen Intarsien-Einarbeitungen auf, auch sie tragen Zeichen des Bergbaus, denn sie stammen aus hiesigem Malachit und Azurit.

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Ein krönender Abschluss, könnte man meinen. Es gibt hier aber noch ein paar weitere Leckerbissen: Etwa kulinarische Köstlichkeiten im Panoramagasthof Kristberg oder spielerische Aktivitäten für Kinder in der Silberspielwelt.

Woher diese Spürnase?

Klaus gibt uns noch spannende Einblicke in das Leben der Bergleute, von der Plagerei in einem ganzjährig 7 °C kalten, nassen, rußigen Stollen. Bei all den Einblicken in die Bergbauaktivitäten und Methoden der zeitliche Einordnung bleibt uns dennoch ein Fragezeichen: Wie konnten die Bergleute unter den damaligen Umständen und verfügbaren Mitteln so präzise arbeiten? Woher wussten sie, wo sie die anstrengende Arbeiten ansetzen sollen, wenn sie nur 25 cm pro Tag vorwärtskamen, wie Klaus uns an anhand eines 1000 Jahre alten hiesigen Stollen erklärte? 

Klaus meint, die Bergleute waren einfach Experten, wie wir uns es heute kaum vorstellen können. Sie hatten sich jahrelang Wissen angeeignet. Knochenharter Bergbau, Ausdauer auf langen Transportwegen und Fürsorge für die Familie, der sie unter ihrer kurzen Lebenserwartung eine Existenz sichern konnten, waren ihr Lebensinhalt. Uns allen bleibt nur tiefe Bewunderung. Heute haben wir moderne Techniken, Maschinen und die Wissenschaft. Und selbst, um die archäologische Bergbauaktivitäten nachzustellen, arbeiten wir dafür über 90 % hochspezialisiert im Labor.

Hatte ich bisher die Montafoner Berglandschaft immer nur als wildromantisches Urlaubsparadies wahrgenommen, wird mir jetzt klar: Wir stehen auf einem Gebiet, das der Bergbau nachhaltig beeinflusst hat. „Montafon“ stammt übrigens aus dem Rätoromanischen und bedeutet „durchlöcherter Berg“ bzw. „Grubenberg“. Selbst der Name geht also auf den Bergbau zurück, womit sich der Kreis und auch der spannende Rundweg schließt.

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